Mittwoch, 20. September 2006

Hat Otto Mühl die Katzen von Manfred Deix gefüttert?

(Warum das Nirwana in der Katzenstreu wohnt und wie Charles Darwin im Gemeindebau mit den Tauben turtelt.)

In aller Bescheidenheit gebe ich hiermit bekannt, dass ich ein ganz besonderes künstlerisches Talent besitze: Ich kann Gummibärchen nach Farben sortieren. Natürlich nur tagsüber, denn in der Nacht sind ja alle Gummibärchen grau. Wie bitte? Das beeindruckt niemanden und keiner würde Eintritt zahlen für mein Gelatine-Mysterien-Theater?
Gut, ich erhöhe auf ZWEI Packerln Gummibärchen, leg’ noch ein Sackerl M & M’ s drauf, und während ich mit der rechten Hand, also kraft meiner linken, ordnungsliebenden Gehirnhälfte, akribische Farbhäufchen mache, werde ich mit der andern Hand (wohlgemerkt: mit bloßen Fingern) ein Nutella-Brot im Stil des abstrakten Expressionismus schmieren und wer-de die aufwühlende Haselnusscreme-Performance wohl „Agonie der Haselnüsse“ nennen.
Als Zugabe, weil ich eben ein Multitalent bin, mit ungeahnten Begabungen, klemme ich mir die Barbie meiner Kindheit zwischen die Zähne wie einen Kauknochen und knabbere schöp-ferisch und mit großem dentalem Engagement auf ihrem Sexappeal herum, woraus das Opus „Strenger Ken“ resultieren wird. Aber dann kommt das Unglaublichste. Ich bin nämlich in der Lage, ein Katzenklo in einen Zen-Garten umzugestalten. Jeder Katzenbedürfnisbehälter mit dekorativ zerwühlter Katzenstreu ist ein Unikat. Preis auf Anfrage. Auf Wunsch verwandle ich sogar eine Portion KATZENFUTTER in Zen („Whiskas-Meditation mit drei Sorten Geflügel“). Oder wahlweise in ein Happening („Panik in der Konservenbüchse“, „Epileptischer Anfall eines Truthahns mit zartem Gemüse und saftigen Kalbsstückchen“ oder schlicht: „Hysterische Pastete“ – spektakulärer, als würde Otto Mühl die Katzen von Manfred Deix füttern).
Wieso lachen Sie mich jetzt aus? Sie sind echt gemein. Nur weil ich nicht schnurre, nachdem ich über pralle, mollige Fauteuils hergefallen bin und die häusliche Gemütlichkeit und Sitzromantik, die sich in trügerischer Sicherheit wähnte wie die Schafe, aufgeschlitzt habe im totalen Schaumstoffrausch (ein „Work in Progress“, weil ich mich immer über Monate in die Weichteile und Eingeweide der Wohnzimmersessel verbeiße). Und nur weil ich mich nicht mit Katzenminze dope, wenn ich ans Werk gehe, die Polstermöbel zu zerfetzen wie eine Löwin eine Antilope und wenn ich aus den Tapeten voll geile sogenannte Decollagen mache wie der Mimmo Rotella, der halt aus WERBEPLAKATEN kunstvoll Stückerln herausfetzt. Ja, und weil ich mit einem DOSENÖFFNER umgehen kann. Auch deshalb nimmt mich kein Kurator und kein Galerist ernst. Weil ich nicht so herzig hilflos bin wie die Katzen, die ja schon eine Dose „Whiskas“ überfordert, die sie nicht ohne fremde Hilfe (ohne Hilfe eines Homo sapiens) überwältigen und ausweiden können.
Hieße ich Söckchen oder Flöckchen, dann würden die Schöngeister vor meinem Klo Schlange stehen und verzückt hineinstaunen in meine Katzenstreu, die ich sensibel mit meinen Krallen zurechtgeharkt habe wie einen japanischen Sandgarten. (Katzen TUN so was. Die sind wahre Ästheten, wo andere bloß profan „verrichten“.) Oh ja. Und die Kunstsammler würden näch-tens bei mir einbrechen lassen, um mir meine Toilette zu klauen, die bald so viel wert sein würde wie die Saliera von Benvenuto Cellini. Denn Katzenkunstgesellschaften scheint es wirklich zu geben und Sammler und Katzenkunstkritiker ebenso und Retrospektiven von berühmten Katzenkünstlern (die alles machen vom Action-Painting, über „Krallen- und Beißarbeiten“, bis hin zu liebevoll grausamen Installationen mit toten Mäusen – und Gummibärchen sortiert auch einer).
Verdammt. Die zerfledderte Taube mit dem abgerissenen Kopf, die unlängst im Hof von meinem Gemeindebau gelegen ist, hätte ich behalten sollen. Womöglich war das ein Aktionsrelikt. Von einer Katzenperformance, die ich versäumt hab’ und die wahrscheinlich den Titel trug: „Wie man der toten Taube das Leben erklärt.“ Oder: „Charles Darwin unterrichtet einen Vogel in natürlicher Auslese.“

Freitag, 15. September 2006

Die Loreley heißt jetzt L’Oréal

(Warum auf dem Apfel des Sündenfalls ein Chiquita-Pickerl klebt, warum Tizians Fräulein Europa einen Big Mac reitet und warum die Venus von Botticelli jetzt NOCH rötere Haare hat.)

Es begann also mit einer Entdeckung (es: das Unbehagen). Wohlgemerkt: mit einer NEU-Entdeckung. Auf einem jahrhundertealten Bild. Dem gründlichen Blick, der sogar den einen Fliegenschiss lokalisiert, den eine gemeine Stubenfliege eigenmächtig einem braungetönten Rembrandt hinzugefügt hat, konnte es ja nicht entgehen: das zarte hellblaue Schnürl, das plötzlich, wie nach einer Jungfernzeugung, unscheinbar aus Tintorettos Susanna im Bade heraushing. Mein Gott, dachte ich: Das ist doch nicht das Rückholbändchen? Die Susi wird doch nicht gerade sauber und diskret sein?
Hat da einer die siegreiche Keuschheit als o.b.-Model missbraucht? Und was den beiden lüsternen Alten nicht gelang, dass Susanna ihnen zu Willen sei, hat jetzt eben ein forscher Tampon erledigt? Und Raffaels Madonna im Grünen hatte auf einmal seltsam glossige, funkelnde Lippen. Mit Glitzerpartikeln. Ach, DESHALB flüstert einem der Audio-Guide an dieser Stelle immer sanft ins Ohr: „Nicht nur für Madonnenlippen: der neue Water-Shine-Diamonds-Lippenstift von Maybelline.“ Und singt enthusiastisch: „Es ist Maybelline.“
So stimmt es also doch, dass Firmen Patenschaften für Gemälde übernehmen und sich damit einen Auftritt in denselben käuflich erwerben, wie früher die Stifter selbstbeweihräuchernd ihr Porträt überall hineinmalen ließen. Männer mit weißen Handschuhen hauen mit den Bildern zur „Restaurierung“ ab, und die kommen dann mit Product-Placement zurück. Oder mit Logos. Ein weltweites Phänomen. Wegen der Globalisierung. Überall auf dem Globus haben immer mehr Sündenfalläpfel das blaue Chiquita-Pickerl drauf, und das Schwert des Erzengels Michael hat dezent eingraviert: „Solingen.“
Eine bekannte „Ruhende Venus“, der man inzwischen einen roten Nassrasierer aufs zerknüllte Leintuch gelegt hat, ist nun die „Venus Divine“ (Untertitel: „Erwecke die Göttin in Deiner Bikinizone“), ihr Maler Giorgione heißt jetzt Gillette. Die entsprechende Signatur hat man hineingefuzelt. Und Tizians weißer Stier, der gerade das strampelnde Fräulein Europa abschleppt, hat ein Brandzeichen: ein gelbes M. Als stünde ihm bevor, von einem Rudel Fleischwölfe gerissen, sprich: faschiert zu werden.
Anfangs wurden die Meisterwerke noch so schonend verschandelt, da sah nur das Unterbewusstsein was. In Manets „Frühstück im Grünen“ im Louvre hat das picknickende Nackerpatzl, knapp an der Wahrnehmungsschwelle, das Hansaplast-Antimückenpflaster auf der Hüfte kleben. Ein tendenziöses Bild, extrem parteiisch. Denn die angezogenen Männer OHNE Hansaplast werden von vielen, vielen Gelsen umschwärmt. (Ihre Beliebtheit bei den Blutinsekten wurde natürlich geschmackvoll naturalistisch dazugemalt, das Gewimmel.)
Botticellis mit dem Muschelschinakel fahrende Venus in den Uffizien hatte Glück: SCHWARZKOPF hat den Zuschlag bekommen und nicht Tic-Tac. Drum hat die Schöne nun bloß koloriertes Haar (Granatrot) mit Multireflexeffekten. Hätte Tic-Tac gewonnen, hätte man dem inbrünstig blasenden, seine geblähten Bäckchen gen Osten richtenden Zephir ein Packerl Munddeodorantzuckerln in die freie Hand geschummelt und der Bildtitel wäre: „Denn frischer Atem gehört zu meinem Job.“ Die Loreley des Eduard Jakob von Steinle heißt sowieso L’Oréal (is hoid die neue Rechtschreibung) und ist blond wie Charlize Theron. Weil sie es sich wert ist.
Doch bevor Caravaggios Rosenkranz-Madonna irgendwann zuschaut, wie die Bloßhaxerten den hl. Dominikus nicht mehr um Rosenkränze, sondern um Schuhmode anbetteln, und bevor dieser die neuesten Schuhmodelle auf den offenen Handflächen stehen hat und ein Spruch-band verheißt: „Selig die Bloßfüßigen, denn sie werden Humanic erfahren“, lasset uns an ei-nem Tag des Zorns die Museen erstürmen und wutschnaubend – Eintrittskarten kaufen. So viele, dass es keiner Werbeeinnahmen mehr bedarf.

Donnerstag, 24. August 2006

Telefonieren Sie wie ein Erzengel!

(Ob Aspirin dem Holofernes noch helfen hätte können, gegen seine Kopfschmerzen, und was Sie schon immer über Christi Empfängnis wissen wollten, sich aber nie zu fragen trauten.)


Ein bisserl komisch war’s anfangs schon, als der Mann von der Hoftafel- und Silberkammer plötzlich während der Führung den „Swiffer Staubmagneten“ zückte, eine Vitrine öffnete und resolut ins Geschirr hineinstocherte mit dem flexiblen Plastikgriff für schwer erreichbare Stellen, der sich wie Gummi biegt. Und mit dem Wunderwedel aus der Werbung eine Staubwedel-Kür hinlegte, die ihresgleichen suchte. Da waren alle baff.
In atemberaubendem Tempo wischte er hemmungslos Staub, der Virtuose, ohne ein Glas umzuschmeißen oder auch nur ein Schälchen zu verrücken, untermalt von anerkennenden Ah- und Oh-Seufzern und dem Gebrabbel einer japanischen Dolmetscherin, die seine weisen Worte, die er während seiner Performance sprach, übersetzte: „Vagessns Eana Staubtiachl! Da naiche Swiffer Staubmagnet kummt hi, wo ondre ned hikumman. Ko, wo ondre neama kennan.“ Dann verbeugte sich der Teufelswedler vor der fast hysterischen Meute, die ob der Akrobatik des „Paganini unter den Entstaubern“ frenetisch applaudierte.
Na ja, was sollen die armen Museen denn sonst tun, um an mehr Geld ranzukommen? Die Leut’ dort können ja wohl schwer auf der Kärntner Straße mit den Spendenbüchsen herumrennen („Rettet die Kunst!“). Und ein Kunstwerk durchzubringen ist schließlich teurer, als einen Wellensittich durchzufüttern. Die können nicht anders, als in den heiligen, kapitalschwachen Hallen Reklame zu machen und, immer wenn ein Museumsbesucher des Weges kommt, einem marmornen Barockengerl beiläufig mit einem Blatt Klopapier übers füllige Popscherl zu wischen und hallend auszurufen: „Cosy – so weich, dass man es blind erkennt!“ Ja, im Erzbischöflichen Dom- und Diözesanmuseum sind sie noch ein wenig bockig und wollen partout nicht bei einem Kruzifix publikumswirksam die „Bepanthen plus Wundcreme“ in die Seitenwunde reinschmieren oder einem gotischen Schmerzensmann die Stigmata laben mit dem neuen Flüssigpflaster: „Compeed Liquid – und Ihre Wunde ist vergessen.“
Aber die Raumaufsicht im Breughel-Saal im Kunsthistorischen Museum, die neben dem Winterbild stur die Atomic-Ski hält wie ein Skiweltmeister, mit siegessicherem Alpinblick und eingefroren wie Tiefkühlgemüse von Iglo, und sich durch nichts aus der gefriergetrockneten Fassung bringen lässt, gehört längst zum Inventar. Und der Franz-Joseph-Doppelgänger im Schloss Schönbrunn ist ein Touristenmagnet, wenn er zu jeder vollen Stunde durch die Repräsentationsräume wandelt, ein Bier in einem Zug austrinkt, sich majestätisch den erlauchten Bart in den Ärmel wischt und deklamiert: „Host ein Kaiser, bist ein Kaiser.“ Jubel. Und wenn die Reichskrone in der Schatzkammer einmal zum Service muss (zum Polieren und zum Nachzählen der Edelsteine), wird sie in der Hochsicherheits-vitrine vertreten von einer exakten Kopie. Von einer künstlichen weißen Schaumkrone auf einem riesigen Bierkrügel mit der Aufschrift „Kaiserbier“.
An die Werbeeinschaltungen im Audio-Guide hat man sich sowieso bereits gewöhnt. Dass der Kopfhörer einem vor dem Holofernes des Jan Liss etwa, der einem gerade seinen kopflosen, Blut spuckenden Hals unappetitlich in die Pupillen rammt, wertvolle Produktinformationen gibt: „Kopfschmerzen? Aspirin hilft.“ Oder vor einem Verkündigungsbild er-zählt, wie es wirklich war damals (Was Sie schon immer über Christi Empfängnis wissen wollten, sich aber nie zu fragen trauten): Maria hat ihr Handy nicht abgehoben oder es war schlechter Empfang und der Erzengel Gabriel wollte ihr nicht auf die Mailbox sprechen („Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade usw.“). Also hat er persönlich vorbeischauen müssen. Und das Preiszuckerl für heutige Verkünder? „Telefonieren Sie jetzt mit T-Mobile günstig zum Verkündigungstarif. Um nur einen Cent in alle Netze zwischen null und zwei Uhr früh!“
Tief beunruhigt hat mich erst eine unerwartete Entdeckung . . . (Fortsetzung folgt.)

Vielen Dank

für Ihre Lese-Lust! Unterbrechung aufgrund von Abwesenheit bis zum 24.8. C.A.
PS: Ab jetzt können Sie wieder zwei bis drei Beiträge pro Woche hier lesen. Kommentare würden mich sehr freuen!

Montag, 31. Juli 2006

Ein Ball ist ein Ball ist kein Würfel

Ich habe eine Vision. Vom Weltfrieden. Und dass er heute um 17 Uhr 50 ausbricht. Die elf deutschen Mannen erwarten auf deutschem Rasen gerade die Delegation aus Costa Rica und ballen schon die Fäuste in den Schuhen (tun also bedrohlich die Zehen einrollen), um denen Ravioli zu bieten, die sie Zores lehren wollen.

Da legt plötzlich der zum Pazifismus konvertierte Schiedsrichter, der sich jetzt für einen harmoniebedürftigen Mediator hält, den Ball in den Mittelkreis, genau auf den Anstoßpunkt, und spricht ein salomonisches Urteil. Mit der Kettensäge. Halbiert das Streitobjekt brüderlich. Und weil dem Schiri keiner widersprechen darf, stimmen nun alle im Stadion die Ode an die Freude an. Das ist Realitätsverweigerung? Na gut, der Weltfrieden ließe sich auch anders erzwingen. Mit der Methode "Na gebts den andern halt auch an Ball. Damit die oame Söi a Rua hod".

Fußball mit zwei Bällen. Das hätte zwei mögliche Konsequenzen. Erstens: Die Spieler verlassen wegen völliger Ratlosigkeit geschlossen das Spielfeld. Zweitens: Der Schiedsrichter kriegt ein Burn-out-Syndrom, schreit ungefähr beim 23. Tor: "Schach! Schach! I wea narrisch!", und sein Verstand kapituliert bedingungslos. Und die zweite zweite Möglichkeit wäre: Das Wettrüsten (am Ende hat jede Mannschaft ja mindestens elf Bälle) führt zu einem so genannten "kalten Match", wo sich keiner mehr traut, den Anfang zu machen, weil das das Ende jeglicher Zivilisation bedeuten würde.

Trotzdem lautet die ewige Prämisse beim Fußball immer noch: Ein Fußballspiel lässt sich nicht diplomatisch lösen. Weil das unnatürlich wäre. Doch hat es je einer probiert? Oder wäre das womöglich das, was man Metaphysik nennt? "Metaphysik ist der Versuch, in einem verdunkelten Zimmer eine schwarze Katze zu fangen, die sich gar nicht darin befindet" (Bertrand Russell, Philosoph).

Metaphysisch ist dann freilich auch das Unterfangen, zwischen einem dreifachen Axel und einem doppelten Rittberger mit einem imaginären Hockeyschläger einem unsichtbaren Puck im physikalischen Sinne einen Impuls zu geben, der die Hartgummischeibe exakt in ein nicht vorhandenes Tor befördert. Anders ausgedrückt (mit den Worten des Wuchtelmanagers Reiner Calmund): "Im Fußball ist es wie im Eiskunstlauf: Wer die meisten Tore schießt, der gewinnt."

Am Ende siegen aber zum Glück eh dauernd die Naturgesetze. Trainer Gyula Lorant: "Der Ball ist rund. Wäre er eckig, wäre er ja ein Würfel." Und die Sportart, die dem Wahlspruch "carpe pedem" (nutze den Fuß) folgt, hieße "Fußwürfel". Und im ekstatischsten Moment des Augenblicks würde man nicht brüllen: "Tooor!", sondern: "Alea iacta est! I kriag mi nimmer ein." (Der Würfel ist gefallen – oder: geworfen. Ich verliere meine Contenance.)
Sie meinen: Die Eingebung, dass Fußball kein Würfelspiel ist, das ist keine kopernikanische Wende im Sport? Das ist wie: Meilen nach Athen tragen? Na ja, aber irgendwer musste das einfach einmal aussprechen. Oder hat es sich der Einstein verkneifen können, einen Hörsaal zu stürmen und auszurufen: "E = mc²!"? Da waren ja ebenfalls alle erleichtert und haben sich gedacht: Na endlich sagt’ s einer.

Es existieren nun mal Sätze auf diesem Planeten, die enthalten eine ganze Weltanschauung. Oder einen kompletten abendfüllenden Film: "Schwimm, Eddie, schwimm!" ("Der weiße Hai II" in Kurzform.) Wer will es also den Fußballern neiden, wenn sie Formulierungen finden, denen auch nichts mehr hinzuzufügen ist? "Heute haben wir uns gut aus der Atmosphäre gezogen" (Herbert Prohaska). Moment. Der war doch gar nicht an der Apollo-11-Mission beteiligt .

Donnerstag, 27. Juli 2006

Wir warten noch auf den „Achsel-Playboy“

(Wo sich der Sexappeal der Venus von Giorgione wirklich aufhält und von der Lust des Damenrasierers.)


Manche treiben einen regelrechten Kult um die Zentrale des Körpergeruchs, um die Achsel. (Die zwei nicht minder potenten Aromafilialen werden dagegen ja meistens von den Schuhen gut gehütet wie Geheimnisse und verdrängt wie Traumata: die Füße). Die einen, im speziellen die männlichen Seife- und Deo-Banausen, veröffentlichen die Sekrete ihrer Duftdrüsen wie Segnungen und gehen natürlich insgeheim davon aus, dass die anwesende Damenwelt, wenn sie ihren Achselexpressionismus, diese Harmonie aus Schweiß und Männlichkeit, nur lange genug auf sie einwirken lassen, augenblicklich in die Duldungsstarre verfallen muss wie eine Wildsau, die dem Steroid-Atem des Ebers ausgesetzt ist und den Eber dann nachsichtig über sich ergehen lässt.

Die andern handhaben ihr Faible für die Achsel etwas privater und haben in ihrem Spind an ihrem Arbeitsplatz eventuell ein Achsel-Pin-up hängen, den Kunstdruck einer Achsel-Ikone aus der Kunstgeschichte. Die „Ruhende Venus“ von Giorgione vielleicht, die mit den Reizen ihrer Achsel nicht geizt. (Diese nackerten Liebesgöttinnen lassen es sich ja fast nie nehmen, dem Betrachter, dem Fleischbeschauer, die Achsel geradezu wollüstig darzubieten.) Oder sie haben einen Rubens drin im Spind. Den „Raub der Töchter des Leukippos“. Eine der beiden speck- und zellulitisverwöhnten Mädeln lässt uns schließlich eintauchen in diese Intimregion, als wären wir Damenrasierer, denen ja auch nichts verborgen bleibt.

Einen aktuellen „Achsel-Playboy“ oder wenigstens einen Achsel-Erotik-Kalender mit den Achseln des Monats GIBT’S ja nicht. Und von Amüsierbetrieben wird der Achsel-Gourmet nicht minder sträflich vernachlässigt. Nirgends Go-go-Achseln, nackt, wie die Enthaarungscreme sie schuf. Oder eine Achsel-Peepshow. Mit Stripperinnen, die sich genüsslich den Ärmel hochkrempeln. Und weit und breit keine Rotlichtbar mit Animierachseln, die sich zu sündhaft überteuerten Deorollern einladen lassen. Um dann in Separees ihre geilen Achselfrisuren vorzuführen, ihre gefärbten oder mit Gel im Klatschnasslook gestylten Achselhaare oder ihre Achsel-Dreadlocks. Oder sie haben sich da eine Glatze geschoren und sich in die Zeit vor der Pubertät zurückrasiert und geben sich als Achsel-Lolitas aus.

Und einmal im Leben macht ein Achsel-Getreuer per Schiff eine Pilgerfahrt nach Amerika und zehrt nachher den Rest seiner irdischen Tage von dem erhebenden Moment, als er von ihr willkommen geheißen wurde: von der Achsel der Neuen Welt, die freilich züchtig verschleiert ist. (Die Fackel ein bissl weiter oben kriegt er nur so nebenbei mit in seinem Achsel-Dusel). Sucht er freilich unverhüllte Attraktionen (Achseln mit „Intimrasur“), dann muss er nach Moskau. Da kriegt er gleich zwei Sehenswürdigkeiten für nur einen Blick: zwei proletarische Monumentalachseln auf einmal. Von einem Arbeiter und einer Bäuerin, die ihre Insignien (Hammer und Sichel) patriotisch in den einst sozialistisch realistischen Himmel recken. Vera Mukhinas Antwort auf die amerikanische Freiheitsstatue.

Und wieso hat wohl jener „Orthopäde“, der dem invaliden Laokoon aus der antiken Skulpturengruppe die erste Armprothese anpasste, einfach angenommen (fälschlicher Weise), die Greifextremität sei dramatisch ausgestreckt? Sicher wegen der Achsel-Ekstase. Um die heroische Powerachsel zu betonen. Oh ja, der Achsel in der Kunst gebührt eine Monografie. „Die Freiheit auf den Barrikaden“ von Delacroix: Eine Apotheose der Achsel. Eine Allegorie der Freiachselkultur. Barbusig und „barachselig“. In Raffaels „Triumph der Galatea“ stiehlt der Titelheldin gar die exhibitionistische Achselhöhle einer Komparsin die Schau. Botticellis geburtsfrische Venus hingegen hat introvertierte Achseln. Bei einem gschamigen Nackerpatzerl, das sich schüchtern alles zuhält, genieren sich halt auch die Achseln.

Dienstag, 25. Juli 2006

Nicht das kleinste Feigenblättchen

(Haben denn alle Sittenwächter Tomaten auf den Augen? Oder wieso ignorieren sie diese Körperregion?)


Wahrscheinlich weil das der unterschätzteste Körperteil ist, dem man schon aus Gewohnheit jegliche Pornografietauglichkeit abspricht und auf den nicht einmal der leiseste Erotikverdacht fällt. Drum also. (Ich meine natürlich nicht das Nasenloch, weder das rechte noch das linke, denn die beiden haben sich ihren Platz ja bereits erobert: in der obskuren Autoerotik, sprich: beim Nasenbohren.)

Also drum, weil ihnen die Anstößigkeit dieser speziellen Blöße halt einfach nicht bewusst war, haben die Wächter der römisch katholischen Manieren und der vatikanischen Schicklichkeit ein paar deftige Stellen übersehen, als sie die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle mit dekorativ flatternden Tüchern zensurierten, um Unaussprechliches den lüsternen Blicken zu entziehen. Und keinem ist es je aufgefallen.

Und die Restauratoren, die Michelangelos athletischen Leibern (den Religionsathleten) und seinen biblischen Muskeln später behilflich waren, die Hüllen wieder fallen zu lassen und die Zensurtextilien loszuwerden, haben sich auch nicht im Geringsten gewundert, dass sie der Eva in der Sündenfallszene gar nichts ausziehen mussten (mit ihren Lösungsmitteln und Spezialradierern). Weil die frommen Zensoren dem Fräulein Eva, das gerade den Arm empor streckt, um die knackfrische Sünde zu ergattern, schlichtweg nichts drübergemalt haben über das Organ, das immerhin ein Geruchspotenzial hat wie die Analdrüsen der Zibetkatze. Kein Feigenblatt bedeckt der ersten Essenssünderin auf Erden, nämlich derjenigen, die die allererste Fehlernährung verbrochen hat, ihre glattrasierte – Achselhöhle.

Auch das maskuline Achsel-Pathos auf der Altarwand der Sixtina, die ekstatische Weltenrichterachsel, die Achsel Christi, kam ungeschoren davon. Nein, nicht dass sie behaart wäre, aber auch ihr gönnten die Bekleidungskontrolleure nicht das kleinste Fetzerl oder Salatblättchen. Wieso nimmt niemand die Achsel ernst? Und das, obwohl doch Gustave Courbet, einer der Pioniere der intimen Fleischbeschau, im Jahre 1866 statt seines legendären lasziven, weiblichen Unterleibsporträts genauso gut einen provokant naturgetreuen Achselakt hätte malen können. Freilich einen herausfordernd schwitzenden. Im Vollbesitz seiner üppigen Lockenpracht. Und klarerweise hätte Courbets Offenbarung dann nicht geheißen „Der Ursprung der Welt“, sondern eher „Der Ursprung des Aromas“.

Ja, und hätte man sich schon zu Toulouse-Lautrecs Zeiten offen zur Achsel-Erotik bekannt, zum zweiten (wie die Franzosen so charmant sagen:) „Gewürzkästlein“ der Frau, dann wäre im Moulin Rouge gewiss der Achsel-Cancan getanzt worden. Die jauchzenden, quietschenden Damen hätten verspielte weiße Puffärmeln angehabt, deren Rüschen sich um lange, schwarze Handschuhe gelegt hätten, und hätten kokett die Ärmchen hochgeworfen. Und das angeheizte männliche Publikum wäre alleweil auf der Lauer gelegen, ob nicht ein Rüscherl hochrutscht und man nicht einen indiskreten Blick auf den schwülen, dampfenden Ort der Sehnsucht erhaschen könnte.

Jünger der Achselhöhle, die daheim vielleicht T-Shirts mit Schweißrändern sammeln (als Reliquien, weil die ja Zeugnis ablegen von der Potenz der Achsel), müssen sich in ihrer Not als Basketballfans tarnen und kleben am Operngucker, wenn einer einen Korb wirft. Und Beachvolleyball ist sowieso ein einziges Achsel-Bacchanal. Doch der wahre Achsel-Groupie, der seinen Höhepunkt masochistisch lang hinauszögert, den Zenit seiner Schaulust, der geht zum Boxen. Und wartet auf den einen glorreichen Augenblick, wo der Ringrichter dem Sieger den Arm hochreißt und die Triumphatorachsel, die in ihrer Schweißmarinade schwimmt, vor Schadenfreude glänzt und kaum noch einer auf die unbezwingliche Boxerfaust dort oben achtet, die sich auf dem Gipfel ihres Ruhmes wähnt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Hat Otto Mühl die Katzen...
(Warum das Nirwana in der Katzenstreu wohnt und wie...
claudia aigner - 15. Sep, 08:29
Die Loreley heißt jetzt...
(Warum auf dem Apfel des Sündenfalls ein Chiquita-Pickerl...
claudia aigner - 15. Sep, 08:25
Telefonieren Sie wie...
(Ob Aspirin dem Holofernes noch helfen hätte können,...
claudia aigner - 24. Aug, 16:29
Vielen Dank
für Ihre Lese-Lust! Unterbrechung aufgrund von Abwesenheit...
claudia aigner - 24. Aug, 16:27
Ein Ball ist ein Ball...
Ich habe eine Vision. Vom Weltfrieden. Und dass er...
claudia aigner - 31. Jul, 10:20

Links

Free Text (1)

gratis Counter by GOWEB Free Counter by GOWEB
Free Counter
Free Counter
Visitor locations claudia.aigner1@gmx.net

Suche

 

Status

Online seit 6508 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Sep, 08:31

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren