Freitag, 15. September 2006

Die Loreley heißt jetzt L’Oréal

(Warum auf dem Apfel des Sündenfalls ein Chiquita-Pickerl klebt, warum Tizians Fräulein Europa einen Big Mac reitet und warum die Venus von Botticelli jetzt NOCH rötere Haare hat.)

Es begann also mit einer Entdeckung (es: das Unbehagen). Wohlgemerkt: mit einer NEU-Entdeckung. Auf einem jahrhundertealten Bild. Dem gründlichen Blick, der sogar den einen Fliegenschiss lokalisiert, den eine gemeine Stubenfliege eigenmächtig einem braungetönten Rembrandt hinzugefügt hat, konnte es ja nicht entgehen: das zarte hellblaue Schnürl, das plötzlich, wie nach einer Jungfernzeugung, unscheinbar aus Tintorettos Susanna im Bade heraushing. Mein Gott, dachte ich: Das ist doch nicht das Rückholbändchen? Die Susi wird doch nicht gerade sauber und diskret sein?
Hat da einer die siegreiche Keuschheit als o.b.-Model missbraucht? Und was den beiden lüsternen Alten nicht gelang, dass Susanna ihnen zu Willen sei, hat jetzt eben ein forscher Tampon erledigt? Und Raffaels Madonna im Grünen hatte auf einmal seltsam glossige, funkelnde Lippen. Mit Glitzerpartikeln. Ach, DESHALB flüstert einem der Audio-Guide an dieser Stelle immer sanft ins Ohr: „Nicht nur für Madonnenlippen: der neue Water-Shine-Diamonds-Lippenstift von Maybelline.“ Und singt enthusiastisch: „Es ist Maybelline.“
So stimmt es also doch, dass Firmen Patenschaften für Gemälde übernehmen und sich damit einen Auftritt in denselben käuflich erwerben, wie früher die Stifter selbstbeweihräuchernd ihr Porträt überall hineinmalen ließen. Männer mit weißen Handschuhen hauen mit den Bildern zur „Restaurierung“ ab, und die kommen dann mit Product-Placement zurück. Oder mit Logos. Ein weltweites Phänomen. Wegen der Globalisierung. Überall auf dem Globus haben immer mehr Sündenfalläpfel das blaue Chiquita-Pickerl drauf, und das Schwert des Erzengels Michael hat dezent eingraviert: „Solingen.“
Eine bekannte „Ruhende Venus“, der man inzwischen einen roten Nassrasierer aufs zerknüllte Leintuch gelegt hat, ist nun die „Venus Divine“ (Untertitel: „Erwecke die Göttin in Deiner Bikinizone“), ihr Maler Giorgione heißt jetzt Gillette. Die entsprechende Signatur hat man hineingefuzelt. Und Tizians weißer Stier, der gerade das strampelnde Fräulein Europa abschleppt, hat ein Brandzeichen: ein gelbes M. Als stünde ihm bevor, von einem Rudel Fleischwölfe gerissen, sprich: faschiert zu werden.
Anfangs wurden die Meisterwerke noch so schonend verschandelt, da sah nur das Unterbewusstsein was. In Manets „Frühstück im Grünen“ im Louvre hat das picknickende Nackerpatzl, knapp an der Wahrnehmungsschwelle, das Hansaplast-Antimückenpflaster auf der Hüfte kleben. Ein tendenziöses Bild, extrem parteiisch. Denn die angezogenen Männer OHNE Hansaplast werden von vielen, vielen Gelsen umschwärmt. (Ihre Beliebtheit bei den Blutinsekten wurde natürlich geschmackvoll naturalistisch dazugemalt, das Gewimmel.)
Botticellis mit dem Muschelschinakel fahrende Venus in den Uffizien hatte Glück: SCHWARZKOPF hat den Zuschlag bekommen und nicht Tic-Tac. Drum hat die Schöne nun bloß koloriertes Haar (Granatrot) mit Multireflexeffekten. Hätte Tic-Tac gewonnen, hätte man dem inbrünstig blasenden, seine geblähten Bäckchen gen Osten richtenden Zephir ein Packerl Munddeodorantzuckerln in die freie Hand geschummelt und der Bildtitel wäre: „Denn frischer Atem gehört zu meinem Job.“ Die Loreley des Eduard Jakob von Steinle heißt sowieso L’Oréal (is hoid die neue Rechtschreibung) und ist blond wie Charlize Theron. Weil sie es sich wert ist.
Doch bevor Caravaggios Rosenkranz-Madonna irgendwann zuschaut, wie die Bloßhaxerten den hl. Dominikus nicht mehr um Rosenkränze, sondern um Schuhmode anbetteln, und bevor dieser die neuesten Schuhmodelle auf den offenen Handflächen stehen hat und ein Spruch-band verheißt: „Selig die Bloßfüßigen, denn sie werden Humanic erfahren“, lasset uns an ei-nem Tag des Zorns die Museen erstürmen und wutschnaubend – Eintrittskarten kaufen. So viele, dass es keiner Werbeeinnahmen mehr bedarf.

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