Ein Ball ist ein Ball ist kein Würfel

Ich habe eine Vision. Vom Weltfrieden. Und dass er heute um 17 Uhr 50 ausbricht. Die elf deutschen Mannen erwarten auf deutschem Rasen gerade die Delegation aus Costa Rica und ballen schon die Fäuste in den Schuhen (tun also bedrohlich die Zehen einrollen), um denen Ravioli zu bieten, die sie Zores lehren wollen.

Da legt plötzlich der zum Pazifismus konvertierte Schiedsrichter, der sich jetzt für einen harmoniebedürftigen Mediator hält, den Ball in den Mittelkreis, genau auf den Anstoßpunkt, und spricht ein salomonisches Urteil. Mit der Kettensäge. Halbiert das Streitobjekt brüderlich. Und weil dem Schiri keiner widersprechen darf, stimmen nun alle im Stadion die Ode an die Freude an. Das ist Realitätsverweigerung? Na gut, der Weltfrieden ließe sich auch anders erzwingen. Mit der Methode "Na gebts den andern halt auch an Ball. Damit die oame Söi a Rua hod".

Fußball mit zwei Bällen. Das hätte zwei mögliche Konsequenzen. Erstens: Die Spieler verlassen wegen völliger Ratlosigkeit geschlossen das Spielfeld. Zweitens: Der Schiedsrichter kriegt ein Burn-out-Syndrom, schreit ungefähr beim 23. Tor: "Schach! Schach! I wea narrisch!", und sein Verstand kapituliert bedingungslos. Und die zweite zweite Möglichkeit wäre: Das Wettrüsten (am Ende hat jede Mannschaft ja mindestens elf Bälle) führt zu einem so genannten "kalten Match", wo sich keiner mehr traut, den Anfang zu machen, weil das das Ende jeglicher Zivilisation bedeuten würde.

Trotzdem lautet die ewige Prämisse beim Fußball immer noch: Ein Fußballspiel lässt sich nicht diplomatisch lösen. Weil das unnatürlich wäre. Doch hat es je einer probiert? Oder wäre das womöglich das, was man Metaphysik nennt? "Metaphysik ist der Versuch, in einem verdunkelten Zimmer eine schwarze Katze zu fangen, die sich gar nicht darin befindet" (Bertrand Russell, Philosoph).

Metaphysisch ist dann freilich auch das Unterfangen, zwischen einem dreifachen Axel und einem doppelten Rittberger mit einem imaginären Hockeyschläger einem unsichtbaren Puck im physikalischen Sinne einen Impuls zu geben, der die Hartgummischeibe exakt in ein nicht vorhandenes Tor befördert. Anders ausgedrückt (mit den Worten des Wuchtelmanagers Reiner Calmund): "Im Fußball ist es wie im Eiskunstlauf: Wer die meisten Tore schießt, der gewinnt."

Am Ende siegen aber zum Glück eh dauernd die Naturgesetze. Trainer Gyula Lorant: "Der Ball ist rund. Wäre er eckig, wäre er ja ein Würfel." Und die Sportart, die dem Wahlspruch "carpe pedem" (nutze den Fuß) folgt, hieße "Fußwürfel". Und im ekstatischsten Moment des Augenblicks würde man nicht brüllen: "Tooor!", sondern: "Alea iacta est! I kriag mi nimmer ein." (Der Würfel ist gefallen – oder: geworfen. Ich verliere meine Contenance.)
Sie meinen: Die Eingebung, dass Fußball kein Würfelspiel ist, das ist keine kopernikanische Wende im Sport? Das ist wie: Meilen nach Athen tragen? Na ja, aber irgendwer musste das einfach einmal aussprechen. Oder hat es sich der Einstein verkneifen können, einen Hörsaal zu stürmen und auszurufen: "E = mc²!"? Da waren ja ebenfalls alle erleichtert und haben sich gedacht: Na endlich sagt’ s einer.

Es existieren nun mal Sätze auf diesem Planeten, die enthalten eine ganze Weltanschauung. Oder einen kompletten abendfüllenden Film: "Schwimm, Eddie, schwimm!" ("Der weiße Hai II" in Kurzform.) Wer will es also den Fußballern neiden, wenn sie Formulierungen finden, denen auch nichts mehr hinzuzufügen ist? "Heute haben wir uns gut aus der Atmosphäre gezogen" (Herbert Prohaska). Moment. Der war doch gar nicht an der Apollo-11-Mission beteiligt .

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